Schweden 2008

Sarek – Fünf Tage allein – wirklich allein!

Mit Töff, Schlafsack und Gaskocher drei Wochen unterwegs durch das Baltikum und Skandinavien
Dauer der gesamten Reise: 7. – 22. September 2008 (15 Tage)


Osteuropa mit dem Motorrad – ein Abenteuer für sich. Vor allem, wenn es zwischen der deutsch-tschechischen Grenze und der Schiffsfähre von Tallin nach Helsinki nur einmal regnet, und das in Strömen. Die Abendsonne östlich von München ist also trügerisch, denn schon am nächsten Tag in Warschau giesst es in Strömen. Sickeranlagen wie in unseren Längengraden sind dort unbekannt. Entsprechend die Wasserfontänen entlang des Strassenrandes. Und elend lange Staus in der polnischen Hauptstadt.

Entsprechend motiviert (oder eben nicht) steige ich am 3. Reisetag aus dem Zelt. Immerhin, ab Riga plötzlich trockene Strassen und kaum auf finnischem Boden, auch Sonnenschein.

Auf direktem Weg nordwärts nach Haparanda. Die Wälder färben sich allmählich gelb. Und auch die Stimmung der Abendsonne wird an der finnisch-schwedischen Staatsgrenze gelblich-romantisch. Echt nordskandinavisch eben.

Richtung Gällivare, über Naturstrassen des Hochlandes, ziert sich die Sonne wieder und wird empfindlich kühl. Die Impressionen aber entschädigen für alles. Und nach 5 Tagen im Sattel und 3700 km erreiche ich den Ausgangspunkt meines eigentlichen Herbstabenteuers im Sarek Nationalpark von Nordschweden: Fünf Tage allein auf Abwegen.

Fünf Tage zu Fuss unterwegs

Und los geht’s: Der 25 kg-Rucksack ist gepackt mit Proviant für sechs Tage – ein Tag Reserve muss sein, für den Fall des Falles. Möchte ja nicht den Geiern ein leckeres Appetithäppchen abgeben.

Noch am Abend der Anfahrt in Kebnats setze ich mit der Fähre nach Saltoluokta über, und Abmarsch! Ich erreiche noch vor der Dämmerung die Baumgrenze, die hier bei rund 1000 Meter über Meer liegt. Nach einer Sturmnacht im Zelt geht’s schon am frühen Morgen vor Sonnenuntergang weiter südwärts.

Vorerst noch dem Kungsleden entlang, einer Art Pilgerweg hier oben, der sich über 800 Kilometer durch’s Land zieht. Bei Sonnenuntergang ist der eigene Schatten noch auffällig lang. Und in der Bildmitte ist der Slugga zu sehen, hinter welchem ich in fünf Tagen wieder zurück kommen werde. Hoffentlich. Doch vor mir liegen noch 150 Kilometer. Also los, nicht lange zaudern.

Die Sonne zieht ihre Bahn, hält auch nicht an. Die letzten Bekannten für längere Zeit sind eine Herde Rentiere. Die spätherbstlichen Farben des Nordens entfalten sich jetzt in ihrer vollen Blüte. Da bleibt nur staunen, in aller Demut.

Das Zeitgefühl verschwindet. Es gibt nur noch die Sonne, die Natur und mich. Das ist Gottes Wunder. Einfach schön. Nach 12 Stunden Marsch über den Kungsleden am Siitojaure-See vorbei – ohne auch nur einen Menschen zu sehen – erreiche ich die Anhöhe über Aktse.

Westlich zeigt sich die markante Kante des 600 Meter hohen Skjerffe. Morgen werde ich dort hinauf steigen. Es soll so etwas wie der Höhepunkt der ganzen Tour werden. Also, schlaf guet!

Traumwelt Rapadalen

Der zweite Marschtag: Minus weiss nicht was, jedenfalls weit unter dem Gefrierpunkt. Rucksack und Zelt sind jedenfalls mit einem harten weissen Belag überzogen. Also nichts wie los, damit ich von der Bewegung warm bekomme. Frühstücken kann ich dann auf dem Skjerffe oben.

Nach zwei Stunden der Anhöhe entlang stehe ich oben, auf dem schönsten Aussichtspunkt des gesamten Sarek Nationalparks. Mit einer atemberaubenden Sicht auf das Rapadalen, eine von Gletschern ausgewaschene Flussebene (31-37). Es ist so unglaublich schön hier oben, dass ich den ganzen Tag auf dem Plateau verbringe, mich erhole und genug esse.

Bevor die Dämmerung einbricht, verabschiede ich mich von dieser Aussicht und wandere nordwestlich in grobe Richtung Rinim. Aber Rinim ist noch weit, sehr weit. Heute nur noch bis zu einem kleinen Seelein, der Wasserreserven wegen. Hier stelle ich mein Nachtlager auf.

Baumwollfelder und Geröllhalden

Früher Morgen am Tag Drei. Der See ist gefroren. Zusammenpacken und weiter. Über endlose geröllversetzte Matten geht es nordwärts. Am Horizont ist nochmals der Skjerffe zu sehen. Und mal wieder paar Kollegen.

Langsam wird der Boden weicher, ich gelange in ein Hochmoor mit regelrechten Baumwollfeldern. Unterwegs finde ich noch die Miniaturausgabe des Eigers.

Dann folgt der lange und steile Abstieg nach Rinim, einem ehemaligen Samen-Kotta. Samen = die Ureinwohner Lapplands, Kotta = kleinste Siedlung. Der Abstieg führt mitten durch eine mit flechten komplett überwachsene Geröllhalde.

In Rinim finde ich nur ein einziges Holzhaus vor, und dieses ist abgeriegelt. Hier waren schon seit Monaten keine Menschen mehr. Spuren sind nirgends auszumachen. So ziehe ich weiter dem Siitojaure-Fluss entlang in Richtung Norden. Doch irgendwann mag ich nicht mehr, bin ziemlich geschafft, der Rücken schmerzt vom schweren Rucksack. Die Sonne verschwindet früh hinter den Bergen, und sofort sinkt die Temperatur unter die Gefriergrenze. Abendessen im Schlafsack ist aber durchaus erträglich und hat seine Romantik, irgendwo hier draussen im Nirgendwo. Ich war noch nie in meinem Leben so allein. Ein herrliches Gefühl.

Der entzündete Fuss

Der vierte Morgen, und das Zelt mal wieder gefroren. Und nicht nur das Zelt.

Bin ich schon so lange unterwegs, dass ich plötzlich an einem dreieckigen Stein meine Freude habe?. Im Aufstieg zum Slugga den wir schon mal aus der Ferne auf dem Bild gesehen haben, geht wohl langsam die Vernunft mit mir durch.

Auf dem Gipfel des Slugga finde ich (schon wieder) ein Rentiergeweih. Und von hier aus, vom Gipfel des Slugga sehe ich nun im Westen die höchsten Berge des Sarek, auch den 2185 Meter hohen Stortoppen.

Eigentlich war dieser höchste Sarek-Berg mein ursprüngliches Ziel. Aber ein halbwegs vernünftiger Mensch sieht ja ein, dass die Distanz dort hin plus noch Überquerung eines Gletschers niemals in fünf Tagen zu schaffen gewesen wären. Auf der anderen Seite des Slugga, gegen Osten, sehe ich auf den Petjaure-See hinunter. Dorthin steige ich jetzt ab, und wähle das linke Seeufer, um zum Samen-Kotta aum anderen Seeende zu gelangen. Zur Grössenorientierung: Dieser See ist zehn Kilometer lang. Und so sieht ein Wandersmann aus, wenn er gerade mal vier Tage von jeglicher Zivilisation weg ist: Offener Hosenschlitz, verfaulte Banane, gestylte Frisur und die schweren Wanderschuhe auf den Rucksack gebunden. Wieso? Gleich, gleich…

Nach steilem Abstieg vom Slugga sind meine Knie langsam hinüber. Trotzdem schaffe ich noch eine Flussquerung durch leuchtende Algen und laufe noch eine Stunde lang dem Ufer des Petjaure-Sees entlang. Das heisst, ich hüpfe. Auch das hat seinen Grund. Würde ich nämlich durch die meterhohen Büsche laufen, wäre ich stets mitten in stacheligem Gehölz. Nicht sehr angenehm. So komme ich auf die Idee, über die Steine am Ufer zu tanzen. Nicht ganz einfach mit der Ladung am Rücken. Und drei Mal tischet’s mich auch gewaltig. Man beachte auch das elegante Schuhwerk…

Mit dem Untergang der Sonne stelle ich auch mein Biwak am Ufer auf. Es ist schweinekalt. Und so langsam ist alles nass, denn was nachts gefriert, kann tagsüber zwar auftauen, aber niemals trocknen. Brrrr…. Auch der linke Fussknöchel streikt. Die Entzündung ist so stark, dass ich die hohen Schuhe unmöglich mehr tragen kann. So laufe ich mit den mitgeführten Surf-Schuhen weiter. Die sind enorm leicht, aber nicht wasserdicht. Macht auch nichts. Dafür bleibt der Knöchel-Schmerz im erträglichen Bereich.

Auf der falschen Seeseite zurück zu den Menschen

Guten Morgen – der fünfte Morgen. Der letzte Morgen zu Fuss. Aus dem Schlafsack steigen? Nee, lieber noch einen Moment in der Wärme liegen bleiben. Doch früher oder später geht’s wieder los. Blick zurück zum sonnenbeschienen Slugga, und ein Eindruck vom Kampf durch die Büsche. Das endlos lange Ufer des Petjaure hört nie auf. Elend lang. Und die Erkenntnis: Die andere Seeseite wäre einfacher gewesen. Supper…

Jetzt ruft langsam wieder die Zivilisation. Ein letzter Blick zurück in die Wildnis, dann der Blick nach vorne, nach Saltoluokta, wo ich die Fähre vorfinden werde.

Nach zwei Stunden Abstieg bis Saltoluokta ist eine heisse Dusche für mich fast wie eine Wiedergeburt. Woowww! Frisch geduscht und rasiert, und mit unvergesslichen Natureindrücken der letzten fünf Tage besteige ich die Fähre, diese fährt über den spiegelglatten See rüber nach Kebnats, wo mein Motorrad auf mich wartet.

Aufladen und abfahren ist die Devise, denn ich will in Jokkmokk noch leckeren Proviant einkaufen gehen. Kein Wunder nach fünf Tagen mit gefriergetrocknetem Food. Nur 10 km südlich von Jokkmokk, just am Polarkreis, finde ich an einem idyllischen See ein Fischerhäuschen, geradezu ideal, um sämtliche Sachen auszupacken, auszubreiten und im seicht wehenden Wind trocknen zu lassen. Endlich! Nun, die letzte Packung Astronautenfood vertilge ich an diesem Abend halt dann doch noch.

Die nette Bekannte am Lagerfeuer

Die Rückreise: Arvidsjaur, und südwärts geht’s. Und wer kann es einem Mann verübeln, wenn er beim Anblick dieses Verkehrsschilds nach so langer Zeit allein in der Natur draussen plötzlich auf andere Gedanken kommt?

Durch’s schwedische Hinterland geht’s allmählich Örnsköldsvik entgegen. Unterwegs finde ich immer kleine gedeckte Feuerstellen, die mir einen ganz feudalen Hotelaufenthalt bieten. Wenn dann nachts im strömenden Regen die schwer beladenen Holztransporter ihre Scheinwerfer in die Strasse ziehen,  ergibt das eine ganz eigenartige Romantik. Am frühen Morgen ein Feuer, und schon ist’s wieder schön warm da drin.

Der Regen hat mich also wieder. Ist mir auch egal, Hauptsache ich hatte schönes Wetter während der fünf Tagen der Fuss-Expedition. Entlang der nordschwedischen Ostküste sind wieder deutliche Zeichen der Zivilisation zu sehen.

Die Hogakustenbron-Brücke in der Nähe von Sundsvall kommt mir wie gerufen. Im strömenden Regen übernachte ich herrlich in der Trockenheit unter der Brücke. Dass die Holztransporter die ganze Nacht hindurch über mir vorbeirumpeln, stört mich in meiner Erholung nicht im Geringsten. Der Weltenbummler ist wunschlos glücklich. Doch, einen Wunsch hat er noch: Dass es morgen aufhört zu regnen…

Nur teilweise wird dieser Wunsch erhört. Im Landesinnere in der Nähe von Uppsala finde ich an einem ruhigen See wieder ein wunderschönes Lager (93-96). Und bekomme sogar noch weiblichen Besuch! (95). Die Dame hat Riesenappetit und mampft mir ein ganzes Pack Tunnbroed weg. Aber was opfert man nicht alles für so eine angenehme Gesellschaft.

Going back home

Göteborg: Wir sind im Süden Schwedens angekommen. Und ich bin nicht etwa derart geschrumpft, sondern das ist nur Leo, der Kleine meines Freundes Johan, einem schwedischen Töffreisenden, der in Boras bei Göteborg wohnt. Leo wollte den Töff auch testen, aber die Füsse reichen einfach noch nicht bis zu den Fussrastern hinunter. Wenige Kilometer weiter südwestlich besuche ich noch Mikael und seinen Schäferhund Cando. Mikael ist der älteste Sohn von Yvonne, der in Mölndal lebt.

Schliesslich geht’s definitiv heimwärts, dem Süden entgegen. In Helsingborg noch auf die Schiffsfähre nach Dänemark, und dann „rolling home“, am riesigen Schiffshafen von Hamburg vorbei.

Numbers…

Kurz paar Zahlen: Während der 15 Reisetage legte ich mit meiner BMW R1200 GS Adventure 6960 Kilometer zurück und sass 107 Stunden im Sattel. Die Strecke Göteborg – Interlaken fuhr ich in gut 16 Stunden (1666 km).

Bruno Petroni
3800 Matten
b.petroni@gmx.ch

Tel. +41 796569941

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